Online-Skat – Retter oder Totengräber des Skatsports?
Wenn Skatspieler über Online-Skat sprechen, entwickeln sich oft hitzige Diskussionen. Erbitterte Gegner und glühende Befürworter stehen sich ein ums andere Mal scheinbar unversöhnlich gegenüber. Und beide Seiten geizen nicht mit Argumenten. Ist also eine Annäherung undenkbar? Bevor wir in die Diskussion einsteigen, möchten wir einen ganz nüchternen Blick auf die Vor- und Nachteile von Online- und Live-Skat werfen. Und dabei gleich mit ein paar Vorurteilen aufräumen. Beginnen wollen wir mit folgender These: Online-Skat ist nur was für junge Leute.
Es ist sicher richtig, dass die meisten jungen Menschen den Computer als einen selbstverständlichen und unverzichtbaren Bestandteil ihres Lebens ansehen, während bei den älteren Generationen noch immer viele mit Berührungsängsten mit einer Technik zu kämpfen haben, die ihnen kaum oder gar nicht vertraut ist. Die Zeiten jedoch, in denen man ein halbes Studium brauchte, um mit einem PC zurechtzukommen, sind schon lange vorbei.
Längst hat die Industrie in dem Bestreben, neue Käuferschichten zu erschließen, die Handhabung der PC- und Internet-Technik enorm vereinfacht. Bereits vor vielen Jahren legte Boris Becker mit seiner sprichwörtlich gewordenen Werbefrage: „Bin ich schon drin?“ ein beredtes Zeugnis dieser Entwicklung ab. Und wer die Schwelle überwindet, sich einen PC und Internetanschluss zuzulegen, stellt schnell fest, dass mit der Einrichtung der Technik die meisten Hürden schon übersprungen sind.
Dementsprechend dürfte es kaum noch jemanden überraschen, dass die Realität diese These eindeutig widerlegt. Da die verschiedenen Anbieter von Online-Skatplattformen ihre Daten aus naheliegenden Gründen nicht preisgeben, können wir mit keiner Statistik aufwarten, aber aus eigenen Erfahrungen wissen wir, dass zahlreiche Online-Spieler älteren Semesters sind. Und das ist durchaus schlüssig, schaut man sich die Vorzüge des Online-Skats ein wenig genauer an.
Online-Skat – Bequem und jederzeit möglich
Das größte Plus vom Internet ist sicher, dass die Skatspieler mit ein paar Klicks zu nahezu jeder Tageszeit passende Spielangebote und interessierte Mitspieler finden. Man muss sich nicht angemessen kleiden, braucht sich nicht außer Haus begeben, hat keine zusätzlichen Kosten durch An- und Abfahrt und Verzehr und ist nicht auf feste Termine z.B. von Spielabenden bestimmter Skatvereine festgelegt.
Will ein Spieler außerhalb regelmäßiger privater Skatrunden oder feststehender Vereinstermine einfach mal eine spontane Partie Skat spielen, muss er Offline entweder auf Glück hoffen, in einer naheliegenden Kneipe Mitstreiter zu finden oder erheblichen organisatorischen Aufwand betreiben, um am Ende festzustellen, dass es oft genug dennoch nicht gelingt, eine 3er oder 4er Runde zusammenzubekommen.
Klappt es doch, sind es fast immer die gleichen Spieler, die sich treffen. Das ist zwar positiv für die Entwicklung oder Festigung von Freundschaften, wer Skat jedoch als Denksport ansieht und die Herausforderung sucht, sein Spiel stetig zu verbessern und sich im Wettbewerb zu behaupten, dem ist es wichtig, auch mal gegen andere Gegner anzutreten.
Im Netz ist es in der Regel nicht schwer, unterschiedliche Spielpartner zu finden. Und nicht nur das: man findet sie meist auch zu den Konditionen, die man sich wünscht. Wer nur „Just for Fun“ spielen will, braucht nicht lange nach Gleichgesinnten zu suchen. Auch beim Spiel um kleinere Geldbeträge finden sich genug Interessenten. Und selbst die Spieler, die um viel Geld spielen möchten, haben weit bessere Chancen, eine passende Runde zu finden, als wären sie auf Kontrahenten angewiesen, die in ihrer unmittelbaren Umgebung wohnen.
Für manch ältere Spieler stellt das Netz sogar die einzige Möglichkeit dar, ihrem Hobby weiterhin zu frönen. In früheren Zeiten hat ihre nachlassende Mobilität viele gezwungen, das Skatspielen aufzugeben. wenn sie ihrem Hobby noch frönen möchten. Gleiches gilt für Spieler, die in entlegenen Gegenden wohnen, die als Rentner den Winter in sonnigen, aber „skatfreien“ Gefilden verbringen oder aber, die als Berufstätige ihr Glück im Ausland suchen. Bei letzteren kann das Skat spielen im Netz sogar zu einem maßgeblichen Bindeglied zur Heimat werden, der sie vor allzu großem Heimweh bewahrt.
Die Nachteile – Das Soziale tritt in den Hintergrund
Obwohl das Internet für einige Skatspieler sogar ein Plus an sozialen Kontakten bedeutet, ist die Regel doch eher das Umgekehrte. Beim Live-Skat ist der zwischenmenschliche Kontakt sehr viel ausgeprägter. Somit tritt auch der soziale Charakter des Skatspiels viel mehr in den Vordergrund. Über den Skatsport werden Freundschaften geschlossen und gepflegt, berufliche Kontakte geknüpft und Partnerschaften gefunden. Skatspieler feiern gemeinsam, leiden zusammen, streiten sich bis aufs Blut – nur um sich zehn Minuten später mit einem Kaltgetränk in der Hand am Tresen zu versöhnen.
Für viele Skatspieler ist das soziale Umfeld in einem Verein oder einer festen Gruppe weit wichtiger als das Spiel selbst. Das gilt umso mehr, da durch die zunehmende Mobilität in der Gesellschaft (teilweise freiwillig, teilweise aber auch beruflich erzwungen) nachbarschaftliche Geflechte zunehmend an Bedeutung verlieren und – wie es die Soziologen so schön ausdrücken – durch „Geschmacksgemeinschaften“ ersetzt werden. Wenn man mehrfach oder sogar häufig im Leben den Wohnort wechselt, ist ein Verein für viele ein willkommener Anlaufpunkt, um schnell neue private Kontakte zu knüpfen.
Ein weiterer Pluspunkt eines Skatvereins ist, hier spielt es keine große Rolle, ob jemand im Beruf erfolgreich ist, ob die Partnerschaft funktioniert, ob ein Spieler extrovertiert oder schüchtern ist, Hauptsache er hat Spaß am Skat. In Skatvereinen ist ein interessantes Paradoxon zu beobachten: obwohl viele einzelne Mitglieder sich nicht gerade durch besondere Toleranz auszeichnen, ist ein Verein meist alles andere als homogen. Religionszugehörigkeiten, politische Ansichten, Bildungs- oder Einkommensunterschiede sowie verschiedene charakterliche Ausprägungen werden für die Zeit der Vereinsabende weitgehend ausgeblendet. Ausgrenzungen sind die Ausnahme, es zählt nur das gemeinsame Hobby.
Diese wichtige soziale Komponente geht in der Anonymität des Internets verloren. Könnte man zumindest denken. Die Kritiker bemängeln dann auch genau diese Punkte. Für sie verstecken die Spieler ihre Identität hinter einem Nicknamen und stellen keine persönlichen Bindungen her. Sie spielen zusammen und bleiben dennoch allein. Das Horrorszenario, das einige Kritiker zeichnen, ist eine Welt, in der die Leute (nicht nur die Skatspieler) ihr Leben online organisieren und den größten Teil desselben online verbringen. Bis das der Tod sie scheidet – von ihrem Rechner.
Das Internet als Kommunikationskiller?
Dabei ist das Internet nur eine konsequente Fortsetzung einer Entwicklung, die schon lange vor dem Ende des letzten Jahrhunderts mit der massenhaften Verbreitung des Telefons in private Haushalte begann. Bereits mit dem Telefon wurde die Möglichkeit geschaffen, intensiv miteinander zu kommunizieren, ohne sich am gleichen Ort zu befinden. Und schon damals brachten Kritiker die gleichen Argumente auf. Anonym, unpersönlich und der Feind jeder Gemeinschaft sollte es sein, das Teufelswerk Telefon.
Es spiegele nur vor, als Werkzeug der Kommunikation zu dienen. In Wahrheit sei es nur geeignet, oberflächlichen Informationsaustausch vorzunehmen. Von tiefgreifender Kommunikation könne man erst sprechen, wenn die Sprache beim persönlichen Kontakt um die nonverbalen Elemente der Verständigung wie Gestik und Mimik ergänzt werde. In Zeiten, in denen das allgegenwärtige Handy von vielen Menschen längst zum Seelentrösten, aber auch zum Trennung verkünden genutzt wird, kann man über solche Prognosen aus der jüngeren Vergangenheit nur noch müde lächeln.
Eine der hervorstechendsten Eigenschaften von Menschen ist es nun mal, sich bei der Aneignung neuer Medien und Kommunikationsmittel um die Vorhersagen von Zivilisationskritikern und Wissenschaftlern einen Teufel zu scheren. Sie schaffen sich ihr eigenes Kommunikationsumfeld nach ihren Bedürfnissen. Und das ist mit dem Internet nicht anders als es vor einigen Jahrzehnten mit dem Telefon war.
Wer sich – um wieder auf den Skat zurückzukommen – anschaut, wie über Skatplattformen im Netz ganze Beziehungsgeflechte aufgebaut werden, wird somit auch die These, das Internet sei der Feind des Sozialen, schnell verwerfen müssen. Liest man bei Plattformen, die ihren Mitgliedern die Möglichkeit des Chattens geben, das Geschriebene, könnte man oft genug glauben, sich auf einer Kontaktbörse zu befinden.
Und den Kritikern, die sich um die Tiefe der Kommunikation sorgen, sei entgegengehalten, dass oft genug die im Netz entstandenen Bekanntschaften reale Treffen nach sich ziehen. Treffen, die ohne die Kontaktanbahnung durch das ach so unpersönliche und anonyme Internet nie zustande gekommen wären. Und so manch innige Freund- oder sogar Partnerschaft hat ihren Ursprung auf einer Skatplattform genommen – auf der nebenbei auch ein wenig Skat gespielt wurde.
Ein Ausblick in die Zukunft
Eines scheint unstrittig: die Zahl der Skatspieler ist rückläufig und wird in der nächsten Zeit weiter zurückgehen. Es fehlt an Nachwuchs. Die Zeiten, in denen jeder Jugendliche in Deutschland das Skatspiel beigebracht bekam, sind längst Geschichte. Bei der stetig wachsenden Zahl potenzieller Freizeitvergnügungen muss sich der Skatsport immer härterer Konkurrenz erwehren. Sein Ruf, Teil des kulturellen Erbes der Deutschen zu sein, wird ihm dabei bestenfalls helfen, in unserem Land nicht so schnell zu einer Denksportdisziplin unter vielen abzurutschen.
Die zahlenmäßige Rückentwicklung wird sicher weitergehen. Aber während viele schon den Abgesang auf ein deutsches Kulturgut anstimmen, sehen wir gar keinen Grund, für den Fortbestand des Skatsports schwarz zu sehen. Und daran ist in erster Linie der Online-Skat „schuld“. Wir empfinden den Streit um Online- oder Offline-Skat ohnehin als künstlich herbeigeredeten Konflikt. In Deutschland gibt es eine lange Tradition, bei Neuerungen erst mal nach dem Negativen zu suchen und Zukunft ist hierzulande schon immer angstbesetzt gewesen.
Tatsächlich aber ist der Online-Skat eine wunderbare Chance, auch dem Offline-Skat neue Impulse zu geben. Es ist ein Irrglaube, dass der Skat im Netz die Spieler massenweise aus den Kneipen, Hotels oder anderen Veranstaltungsorten fernhält und die Gastwirte ihrer so bitter benötigten Gäste beraubt. Umgekehrt wird ein Schuh draus.
Es gibt kaum einen Vielspieler im Netz, der nicht auch offline sehr aktiv ist. Die wenigen Ausnahmen sind darin begründet, dass diese Spieler entweder vor Ort kaum Gelegenheiten finden oder aus Alters- bzw. gesundheitlichen Gründen nicht mehr mobil genug sind. Selbst ausgesprochen unsinnig verfasste Raucherschutzgesetze haben letztendlich fast niemanden dazu bewogen, dem Live-Skat adieu zu sagen. Das Live-Spiel mit seiner Tischdynamik und der Möglichkeit, die Mitspieler zu beobachten und einzuschätzen hat einfach reizvolle Aspekte, die der Online-Skat nicht bieten kann.
Dennoch sind dem Skatsport durch das Internet viele neue Interessenten gewonnen worden. Da wären erstens junge Spieler, die ohnehin sehr aktiv im Netz sind und die Gelegenheit nutzen, in ihrem „Terrain“ ohne großen Aufwand auszuprobieren, was ihnen Spaß macht. Dadurch hat der Skatsport schon jetzt manch talentierten Nachwuchsspieler dazu bekommen (die es natürlich, nachdem sie Feuer gefangen haben, auch an die Live-Tische zieht). Und deren Zahl könnte noch deutlich steigen, wenn es mehr und bessere Lernangebote im Netz gäbe.
Auch unter den Hobbyskatern konnte das Netz manch einen wieder ins Boot holen, der durch welche Umstände auch immer seine frühere Runde verloren hat. Unter diesen Spielern, die aus zeitlichen oder anderen Gründen nicht die Mitgliedschaft in einem Verein oder gar die Teilnahme am Ligabetrieb anstreben, könnten noch viel mehr auch zum regelmäßigen Offline-Skat spielen zurückfinden, wenn es im Netz bessere Informationen über Aktivitäten gäbe.
Da sie die Infoseiten der Verbände eher als Angebote für die „Profis“ ansehen (oder gar nicht kennen), sind hier besonders die Plattformen gefordert, mit breit gefächerten Terminkalendern und gut strukturierten Foren Skat zum Gesprächsthema zu machen und für Informationsmöglichkeiten und Meinungsaustausch zu sorgen. Und umgekehrt sind auch die an neuen Spielern interessierten Vereine aufgerufen, Angebote von Plattformen zur Selbstdarstellung wahrzunehmen und zu nutzen.
Die Möglichkeit, dass sich Live- und Online-Skat gegenseitig befruchten und zum allgemeinen Nutzen des Skatsports ergänzen, ist schon jetzt gegeben. Sie wird nur noch längst nicht in dem Maße genutzt, wie es angebracht wäre. Bleibt für den Skatsport zu hoffen, dass ihm nicht in ein paar Jahren ein leicht abgewandeltes Gorbatschow-Zitat unter die Nase gerieben wird: Wer im Internet zu spät kommt, den bestraft das Leben.